England: Nur biologische Frauen sind Frauen

Wer ist eine Frau im Sinne des Gleichstellungsgesetzes? Diese Frage hat jetzt der Oberste Gerichtshof Großbritanniens entschieden. Die Antwort gefällt Gruppen wie Amnesty International überhaupt nicht. Die Autorin J.K. Rowling, die die Kläger auch finanziell unterstützt hatte, begrüßte hingegen das Urteil. Es ist ein Sieg des gesunden Menschenverstandes. 

DIE WELT berichtet: 

Wenn es um die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen geht, zählt in Großbritannien das biologische und nicht das soziale Geschlecht. Das hat das oberste Gericht des Landes entschieden.

Wie die Richter des Supreme Courts in London einstimmig feststellten, zielt das britische Gleichstellungsgesetz (2010 Equalities Act) in erster Linie auf den Schutz biologischer Frauen. Das bedeute jedoch nicht, dass Transfrauen nicht auch indirekt davon profitierten, betonte der Vorsitzende Richter Patrick Hodge.

„Die Definition von Geschlecht im Gleichstellungsgesetz von 2010 stellt klar, dass das Konzept von Geschlecht binär ist, eine Person ist entweder eine Frau oder ein Mann“, hieß es in dem Urteil. Regelungen zum Schutz von Frauen schließen demnach per Definition Männer aus.

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Babys mit 10 Prozent Ermäßigung

Ein Schwulenmagazin bietet Babys mit 10 Prozent Rabatt an. WELT-Politikredakteur Frederik Schindler beschreibt den Menschenhandeln der Leihmütteragenturen: 

Ein Thema, das mich ebenfalls beschäftigt, behandeln die Kollegen leider gänzlich unkritisch: Leihmutterschaft – also die in Deutschland verbotene Praxis, bei der eine Frau eine Schwangerschaft für Andere austrägt und das Kind nach der Geburt an die „Bestelleltern“ abgeben muss. Für die dahinterstehenden Agenturen – beispielsweise aus den USA, der Ukraine oder Georgien – ist es ein blühender Geschäftszweig, basierend auf vollkommen ungleichen Machtverhältnissen.

Bereits vor sieben Jahren befremdete mich auf „queer.de“ der Aprilscherz einer angeblichen „Verlosung einer Leihmutter an ein schwules Paar im Wert von 36.000 Euro“. Abgebildet war damals eine thailändische Frau, in der Bildunterschrift hieß es: „Nuttanun Kanjanapiboon aus Buriram könnte bald Dein Kind austragen.“ Die Ausbeutung armer und schutzbedürftiger Frauen als Gebärmaschinen sowie Babys als Opfer von Menschenhandel hält die Redaktion des LGBT-Portals offenbar für einen Witz.

Wenig verwunderlich, schließlich wird in sonstigen Berichten des Magazins zu dem Thema allermeistens lediglich die fehlende Legalisierung in den meisten Ländern beklagt. Und es ist ja tatsächlich eine kritikwürdige Ungleichbehandlung, wenn die Leihmutterschaft in vielen Ländern heterosexuellen Paaren offensteht, während sie für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen ist. Wer an Gleichberechtigung interessiert ist, sollte die Leihmutterschaft allerdings nicht öffnen, sondern für alle Gruppen verbieten.

Argumente, die aus feministischer Perspektive gegen die Praxis vorgebracht werden, finden auf „queer.de“ kaum Gehör. Die Kritik von Frauenrechtlerinnen wird ausgerechnet von denjenigen ignoriert, die sich in ihrer journalistischen Arbeit schwerpunktmäßig mit Diskriminierung beschäftigen.

Das passt zu einem queer-aktivistischen Ansatz, in dem der Einsatz für die Rechte biologischer Frauen und der damit verbundene Kampf gegen sexuelle Gewalt und Gewalt im Namen der Ehre, weibliche Genitalverstümmelung, Prostitution, Pornografie, die Objektifizierung und Sexualisierung von Frauenkörpern sowie eine Tabuisierung von Menstruation und weiblicher Sexualität wahlweise als angeblich rassistisch, ausschließend gegenüber „Sexarbeiterinnen“ oder transfeindlich gebrandmarkt wird. Jahrzehntelange Kernanliegen feministischer Bewegungen fallen so hinten runter.

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Ist der „späte“ Augustinus ein Missverständnis?

In der Augustinusforschung der letzten 100 Jahre wird immer wieder die so genannte „Diskontinuitätsthese“ ins Spiel gebracht und diskutiert. Diese These entstand als Gegenbewegung zu einer bis dahin eher einheitlich gedachten Augustinusrezeption.

Ein erster Vertreter der Diskontinuitätsthese war Hermann Dörries (1895–1977). In seinem Buch Die Entstehung der augustinischen Gnadenlehre (1930) diagnostizierte er einen Wandel in Augustinus’ Gnaden- und Freiheitsverständnis vor und nach der Auseinandersetzung mit Pelagius. Um das Jahr 412/413 habe es die markante Wende in Augustins Theologie gegeben. Auch der bekannte Biograph Peter Brown verteidigt die Diskontinuität zwischen dem frühen und dem späten Augustinus (Augustinus von Hippo, 1982).

Die Diskontinuitätsthese steht im Spannungsfeld zur „Kontinuitätsthese“, die einen scharfen Bruch oder mehrere sanfte Brüche in der Gnadentheologie des Kirchenvaters verneint. Einer der bekanntesten Vertreter der kontinuierlichen Entwicklung der Gnadentheologie bei Augustinus ist Volker Drecoll, der Herausgeber des Augustinus Handbuchs (2007).

Vor einigen Jahren hat Kenneth Wilson in einer Promotionsarbeit die Diskontinuitätsthese noch weiter radikalisiert, indem er nicht nur einen Bruch durch das Werk Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus (dt. An Simplicianus über verschiedene Fragen) behauptet, sondern mittels Redaktionskritik dieses Werk ins Jahr 412 transferiert (die allg. angenommene Entstehungszeit liegt bei 396/397 n. Chr.). Nach Wilson war also Augustinus schon über 60 Jahre alt, als er seine prädestinatorische Theologie entwickelte. Im deutschsprachigen Raum hat z.B. Roger Liebi für diese radikale Diskontinuitätsthese von Ken Wilson geworben (vgl. Hat Augustinus die abendländische „Ursünde“ erfunden?).

In den deutschsprachigen Akademikerkreisen hat sich besonders Kurt Flasch für einen radikalen Bruch innerhalb der Theologie Augustins ausgesprochen. Der Philosophiehistoriker hat sich schon früh vom christlichen Glauben verabschiedet und gilt als fundierter und unaufgeregter Kritiker des christlichen Glaubens (vgl. sein Warum ich kein Christ bin, 2013 u. sein Interview über den Glaubensverlust hier). In zwei neuen Veröffentlichungen hat er inzwischen auf Ken Wilsons These reagiert und damit seine Kritik an der der Ursündentheologie untermauert. Hartmut Leppin schreibt in seiner Rezension von Augustins letztes Wort: Prädestination und Augustin neu lesen: Diskussionsbeitrag zu Kenneth M. Wilson (beide erschienen im Verlag Vittorio Klostermann, 2024):

Die Reaktionen auf Wilsons Arbeit waren teils skeptisch, teils enthusiastisch zustimmend. Kurt Flasch hat aufgrund der Lektüre Wilsons seine bisherige Auffassung revidiert – und bekennt das freimütig. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, diskutiert er in zwei kurzen, mit pointierten Titeln versehenen Büchern. In „Augustins letztes Wort“ widmet Flasch sich späteren Schriften des Kirchenvaters, vor allem jenen zur Prädestination, aus denen er weitere Passagen übersetzt, sowie abendländischen Texten, auf die Augustin einwirkte, namentlich solche von Thomas von Aquino und Johannes Calvin, aus dessen Werk Flasch eine Sammlung einschlägiger lateinischer Zitate zusammenstellt.

Im zweiten, ausdrücklich als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Werk, „Augustin neu lesen“, dessen Vorwort nur knapp drei Wochen später datiert ist, erörtert Flasch explizit Wilsons Arbeit, ferner Passagen aus „Ad Simplicianum“, einem Werk Augustins, das als grundlegend für die Gnadenlehre gilt und das Wilson in zentralen Teilen umdatiert hat. Zudem behandelt er lange, neu übersetzte Abschnitte aus den „Bekenntnissen“, die nach bisheriger Meinung mit jenen Teilen zusammenhingen. In beiden Werken verbinden sich die höchst qualitätsvollen Übersetzungen (hier leider gewöhnlich ohne lateinisches Original) mit eindringlichen Interpretationen, die auf eine systematische Auseinandersetzung mit der verästelten Forschung verzichten, dieser auch nicht bedürfen. (FAZ vom 05.04.2025, Nr. 80, S. 12)

Inzwischen liegt außerdem eine umfangreiche Untersuchung zu Augustinus und dem Pelagianismus vor, in der ebenfalls die Spannung von Kontinuität und Diskontinuität berührt wird. David Burkhart Janssen hat 2024 seine Dissertation Inimici gratiae Dei: Augustinus’ Konstruktion des Pelagianismus und die Entwicklung seiner Gnadenlehre nach 418 veröffentlicht (Brill u. Schöningh, 2024). Janssen war mehrere Jahre Assistent am Lehrstuhl von Drecoll in Tübingen und hat das Dissertationsprojekt unter dessen Betreuung durchgeführt.

Inimici gratiae Dei (dt. Feinde der Gnade Gottes) ist mit über 900 Seiten eine sehr gründliche Auseinandersetzung zum Thema Gnadentheologie. Janssen hat die Quellen akribisch untersucht und die Entwicklung der antipelagianischen Gnadenlehre so detailiert nachgezeichnet wie m.W. bisher niemand sonst.

Für alle, die sich mit neuen Perspektiven auf Pelagius oder Augustinus beschäftigen, ist es eine wahre Fundgrube. Die Kirchengeschichtsschreibung sah bis zur Jahrtausendwende den Pelagianismus überwiegend kritisch. Adolf von Harnack sagte noch: „Aber man wird urtheilen müssen, dass ihre Lehre [d.h., die der Pelagianer] den Jammer der Sünde und des Uebels verkennt, dass sie im tiefsten Sinne gottlos ist, dass sie von Erlösung nichts weiss und wissen will“ Dogmengeschichte, Bd. 3, 1890, S. 183).

In den letzten Jahren hat es mehrere Rehabilitierungsversuche der pelagianischen Theologie gegeben. So wird Augustinus vorgeworfen, in seinen späten Jahren Manichäer gewesen zu sein (der so genannte Manichäismusvorwurf). Am Bekanntesten ist The Myth of Pelagianism von Ali Bonner (2018). Bonner hat behauptet, dass im 4. Jahrhundert Pelagius eine Mehrheitsmeinung vertreten habe und vielmehr Augustinus mit seiner Betonung des geknechteten Willens und der Vorherbestimmung die Ausnahme gewesen sei. Bonner behauptet sogar, dass die Positionen, die Pelagius durch seine Gegner zugeschrieben bekam, in seinen Schriften gar nicht zu finden seien und es keine pelagianische Bewegung im engere Sinne gegeben habe. Allerdings konnte sie die Fachwelt nicht überzeugen. Andrew C. Chronister zieht in seiner Buchbesprechung das Fazit: „Alles in allem hat Bonner’s Studie den Leser nicht überzeugt“ (Augustinian Studies, Bd. 51, Ausgabe 1, 2020, S. 119). David Bukrhart Janssen schreibt (S. 27, Fn. 79):

Auch wenn – bis heute – umstritten ist, inwiefern sich Augustinus’ Theologie aus der Tradition speist, ist doch zu statuieren, dass im vierten Jahrhundert unterschiedliche Lehransätze mit einem häufig nicht ganz geklärten Nebeneinander von Gnade und menschlichem Wirken bestanden …; ebenfalls bezogen sich Augustinus und Pelagius wie ihre Vorgänger gemeinsam in diesen Fragen auf das paulinische Corpus.

Zu Kenneth Wilsons These konstatiert Janssen, dass die von ihm vollzogenen Umdatierung von Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus der Quellenlage widerspricht (vgl. S. 20, Fn. 54). Einen radikalen Bruch kann er bei Augustinus in der Gnadenfrage nicht finden, wohl aber eine konsequente und kontininuierliche Fortentwicklung seiner eigenen Sichtweise. Die Untersuchung schließt mit den Worten (S. 778):

Der antipelagianische, „späte“ oder alte Augustinus ist der gleiche Theologe wie der junge, der allerdings das, was er bereits in vielen Jahrzehnten angelegt hatte, in Reaktion auf die Pelagianische Kontroverse spezifizierte, zuspitzte und systematisierte. In den antipelagianischen Schriften begegnet eine situativ bedingte, aber dennoch konsequente und kontinuierliche Fortentwicklung der augustinischen Theologie.

Augustinus hat in besonderer Konsequenz die paulinische Grundansicht durchdacht, dass der Mensch Erlösung nicht aus sich selbst heraus erlangen kann, sondern der Gnade in und durch Christus bedarf. Die Schlussfolgerungen, die Augustinus daraus gezogen hat, insbesondere die Vorstellung von der Sündhaftigkeit und Gnadenbedürftigkeit aller, die Betonung des Kreuzes sowie die Prädestinationslehre, waren damals wie heute umstritten. Die Untersuchung von Augustinus’ Konstruktion und Widerlegung des Pelagianismus zeigt jedoch, dass Versuche, aus seiner Theologie den einen oder anderen Aspekt (etwa die Prädestinations- oder die tradux peccati originalis-Lehre) herauszulösen, weitreichende Änderungen an der soteriologischen Grundaussage des afrikanischen Kirchenvaters zur Folge haben: Der Mensch erlangt Rettung nur durch die Gnade des treuen und barmherzigen Gottes.

Verschwörungserzählung

Die feministische Gendersprache basiert auf einer Verwechslung von Genus und Sexus; es gebricht ihr an Legitimität, meint Gerald Ehegartner (NZZ, 14.04.25, S. 14):

Trotz all diesen Argumenten folgt die Genderlinguistik unbeirrt der trügerischen Verknüpfung von Sexus und Genus. Wer dieses Trugbild weiterhin als real liest, wird sich über die folgende Zählung des Dudens freuen: Etwa 46 Prozent aller Nomen sind feminin, 34 Prozent maskulin und 20 Prozent neutral. Weiters steht der Pluralartikel «die» im Deutschen mit dem femininen Artikel in Verbindung, genauso wie die 3. Person Plural «sie» mit der 3. Person Singular feminin gekoppelt ist. Hätten darob nicht auch die Männer Grund, sich nicht mitgemeint zu fühlen? Aber selbstredend war hier erneut kein «Kampf der Geschlechter» ausschlaggebend, sondern die kollektive Sprachintelligenz wählte unbewusst jenes Genus, das mit dem Plural (Kollektiva) korrespondiert.

Die Behauptung eines linguistischen Patriarchats ist eine moderne Verschwörungserzählung rund um das «generische Maskulinum», die als Grundlage für den ersten künstlichen Umbau der deutschen Grammatik dient. Dieser unterscheidet sich grundlegend von Orthografiereformen oder neuen Wortschöpfungen, da diese nicht in die Sprachstruktur eingreifen. Wir haben es hier mit einer auf fehlerhaften Annahmen basierenden Gesinnungsgrammatik zu tun, die nicht nur das Geschlecht sprachlich durchgehend sichtbar machen möchte, sondern in der Sprache auch eine bestimmte Ideologie abbilden möchte.

Die Gendersprache hat sich für die «Diesseitsreligion» des Wokeismus zu einem Fetisch oder einer Art Sakralsprache entwickelt. Der auf Falschannahmen beruhende Umbau der deutschen Grammatik und die Hinzufügung von Sonderzeichen, die nicht Teil der deutschen Orthografie sind, entziehen dem Bemühen um sprachliche Gleichstellung jedoch die Legitimität in der Sache.

Bekannt ist auch, dass sich die Mehrheit der Bürger und Sprachwissenschafter gegen die Gendersprache ausspricht. Dennoch wird der ideologische Umbau der Sprache nirgendwo sonst auf der Welt so systematisch vorangetrieben wie im deutschsprachigen Raum. Dabei war Deutsch stets eine widerständige, in der Mitte der Bevölkerung verwurzelte Sprache, die sich trotz lang andauernder Geringschätzung als Weltkultur- und Wissenschaftssprache etablieren konnte.

Eine Warnung an die Kirche zu Todd White

Todd White ist ein amerikanischer Pastor und Evangelist sowie Gründer und Präsident der Lifestyle Christianity University in Watauga, Texas (USA). Mike Winger stellten einen Offenen Brief über ihn vor und erläutert die enthaltenen Warnhinweise, die aus dem Kreis enger Mitarbeiter kommen:

Ulrich Parzany: Das Buch Begründung des Glaubens hat mir entscheidend geholfen

Pfarrer Ulrich Parzany hat das Buch Begründung des Glaubens von Herman Ridderbos schon in den 60er Jahren gelesen. Dass es jetzt neu (und endlich in einer vollständigen Ausgabe) erschienen ist, kommentiert er in einer Rezension Folgendermaßen:

Als Theologiestudent hatte ich mich mit der radikalen Bibelkritik Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinanderzusetzen. Die Autorität der Bibel wurde durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und durch Bezweiflung des neutestamentlichen Kanons als Wort Gottes untergraben. Damals, 1963, erschien das Buch des niederländischen Theologen, Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens – Heilsgeschichte und Heilige Schrift, R. Brockhaus Verlag Wuppertal. Dieses Buch hat mir entscheidend geholfen. Ich hüte es bis heute in meiner Bücherei.

Mit großer Freude begrüße ich, dass der Verlag VERBUM MEDIEN dieses Buch jetzt neu aufgelegt hat [siehe hier]. Herman Ridderbos (1908–2007) war Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule in Kampen, Niederlande.

In der Einleitung schreibt Ridderbos: „Die Theologie sieht sich immer wieder vor die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift gestellt. Die meisten Theologen unserer Zeit antworten darauf, dass die Heilige Schrift an sich keine göttliche Autorität besitze und dass diese nur ihrem Inhalt zukomme. Das Kennzeichnende an dieser Auffassung ist nicht, dass sie jede Offenbarung schlechthin leugnet, wohl aber, dass sie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Offenbarung und Heiliger Schrift macht. Die Bibel ist demnach nur menschliche Urkunde als Beschreibung göttlicher Offenbarung oder, wie man gegenwärtig zu sagen pflegt, ihr menschliches Zeugnis. … Der Schrift an sich komme keine Offenbarungsqualität zu.“ (S.15f)

Ridderbos vertritt und begründet seine Gegenthese: „Die Heilige Schrift hat eine Geschichte. Sie ist ein Produkt von Gottes Offenbarungshandeln in der Heilsgeschichte. … Die Bedeutung der Bibel und das Wesen ihrer Autorität können also nur dann richtig verstanden werden, wenn man die Schrift eng mit der Heilsgeschichte verbindet…. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher nicht darum, den Glauben auf einen anderen Grund als den der Bibel zu stellen, sie möchte nur das Wesen der Heilsgeschichte näher ergründen, oder anders ausgedrückt: den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und Heiliger Schrift aufdecken.“ (S.21f)

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Peter Stuhlmacher (1932–2025)

Die Nachrichtenagentur IDEA berichtet, dass der Neutestamentler Peter Stuhlmacher vertorben ist:

Der international angesehene Tübinger Theologieprofessor Peter Stuhlmacher ist am 5. April im Alter von 93 Jahren gestorben. Das hat die Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA aus seinem persönlichen Umfeld erfahren. Der gebürtige Leipziger lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Zuvor war er vier Jahre in Erlangen tätig.

Durch seine Forschungen über den Apostel Paulus und die „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ erwarb er sich Anerkennung über Deutschland hinaus. Mit Kollegen entwickelte er eine „Biblische Theologie“, bei der die wissenschaftliche Bibelexegese durch eine „geistliche Schriftauslegung“ ergänzt wird.

Ich habe seine Bücher gern gelesen und schätzen gelernt.

Wer Stuhlmacher noch einmal hören möchte, könnte sich zum Beispiel seine Vorträge über die Neue Paulusperspektive anhören, die auch als Buch erschienen sind (#ad).  

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Wie christliche Sexualethik unchristlich transformiert wird

Am 4. April hatte ich auf eine kurze Rezension der der Transformativen Ethik von Faix und Dietz verwiesen, die Pfarrer Ulrich Parzany veröffentlich hat. Inzwischen ist eine ausführliche Besprechung von Thomas Jeising veröffentlicht worden, auf die ich gern hinweise. Fazit:

In dieser „christlichen“ Sexualethik findet der geneigte Leser Rechtfertigungen für fast jeden Umgang mit Sexualität. Ich setze „christlich“ in Anführungszeichen, weil ein bewusster Abschied von der kompletten christlichen Tradition vorliegt und nicht nur notwendige Korrektur. Die wiederholte Betonung, man orientiere sich an der Bibel, meint eine selektive Auswahl biblischer Motive, soweit sie die vorgefasste Meinung zu bestätigen scheinen. Die Autoren sehen kein Problem, sich die Sache im Zweifel hinzubiegen. Auch die historischen Exkurse sind tendenziös, beruhen auf wenigen Quellen, die wieder sehr selektiv herangezogen werden. Dabei stellen sich Dietz/Faix als selbstkritisch bescheidende Vermittler dar, während sie tatsächlich mit Vehemenz ihre Agenda durchpeitschen. Diese Art hat etwas von Unehrlichkeit.

In ihrer Kritik einer christlichen Ethik, die geschöpflichen Gegebenheiten Bedeutung beimessen will, sind die Autoren rigoros: alles Biologismus. Biblische Ordnungen, die vom Schöpfer passend zu seiner Schöpfung in ihrem gefallenen Zustand gegeben wurde, haben für sie keine Relevanz. An keiner Stelle gelingt es ihnen, einen eigenen hilfreichen Akzent in herausfordernden ethischen Fragen zu setzen. Offensichtliche Entwicklungen, wie die erhebliche Zunahme psychischer Störungen bei jungen Menschen, die offenbar auch mit Orientierungslosigkeit in Fragen der Identität und Sexualität verbunden sind, werden in ihrer ethischen Dimension nicht wahrgenommen. Es findet sich nicht einmal ein Versuch, eine christliche Antwort zu geben.

Nach evangelischem Verständnis ist biblisch-christliche Ethik Gesetz, also Gottes Weisung für den Menschen, auf der Grundlage des Evangeliums von der Vergebung und ewigen Erlösung durch Christus. Wegweisung oder Orientierung kann die transformative Ethik nirgendwo bieten, weil sie einfach nur kritiklos wiederholt, was jeder allerwärts hören kann. Bei all dem Ausrichten an den Transformationen haben die Autoren scheinbar nicht bemerkt, dass überall Menschen nach Orientierung fragen und Wegweisung suchen. Hier kann eine christliche Sexualethik Hilfe bieten, wenn sie Gottes Gedanken über die Geschlechtlichkeit entfaltet. Sie ist auch dann eine Ethik zum Selberdenken im Sinne des aktiven Nachdenkens der Gedanken Gottes. Was hier vorgelegt wurde, erscheint eher als eine Ethik des Nachplapperns des aktuellen sozialwissenschaftlichen Mainstreams.

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Wege zur Liebe?

Der zweite Band der sogenannten Transformativen Ethik von Thorsten Dietz und Tobias Faix ist soeben unter dem Titel „Wege zur Liebe“ erschienen. Es geht darin – und damit ist schon der Begriff „Liebe“ zeitgeistig gefüllt – um Sexualität.

Nachdem ich die Buchbesprechung von Ulrich Parzany gelesen habe, musste ich schmunzelnd an eine Rezension von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1799 denken. Der wagte es, tatsächlich über Immanuel Kants Anthropologie zu sagen, dass diese vortrefflich als „Negation aller Anthropologie“ zu lesen sei. Ich glaube, wir sollten die Transformative Ethik als die Negation aller biblischen Ethik lesen (wenn wir sie denn überhaupt lesen).

Ulrich Parzany schreibt:

Das Bild von Karte und Gebiet ist für die Autoren in ihren ethischen Überlegungen leitend. Die Bibel ist die alte Landkarte. Unsere heutige Welt ist das Gebiet. Die Wege, die in der alten Karte eingezeichnet sind, gibt es leider heute nicht mehr. Wege, die wir durchs heutige Gebiet suchen, kann man in der veralteten Karte nicht finden. Also spielen die Gebote Gottes keine maßgebende Rolle. Gebotsethik ist für die Autoren etwas ganz Schlimmes. Keine Spur von Nachdenken darüber, dass und wie Jesus die Gebote Gottes in der Bergpredigt oder in Johannes 15,10 („Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe“) oder im Gespräch mit dem reichen jungen Mann (Mat 19,16-19) bestätigt.

Die Autoren orientieren sich dagegen an Judith Butler, deren Gender-Ideologie sie heftig verteidigen, und anderen Ratgebern, die fast jedes sexuelle Verhalten rechtfertigen oder empfehlen. Vorehelich, außerehelich, hetero, homo, queer, polyamorös.

Welche Rolle spielt die Bibel in diesem Buch? Ihre Aussagen werden von den Autoren auf die Prinzipien Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit geschrumpft. Diese Prinzipien werden, wenn die Autoren es für nötig halten, auch kritisch gegen konkrete biblische Aussagen angewandt. Unter Berufung auf das Liebesgebot werden in der kirchlichen Argumentation ja schon länger konkrete Gebote Gottes für ungültig erklärt. Gegen den Gebrauch der Bibel als Wort Gottes und Maßstab für Glauben und Leben wird in diesem Buch durchgehend polemisiert.

Was schon im ersten Band behauptet wurde, wird im zweiten konsequent ausgeführt: Die neuzeitlichen Transformationen in Verständnis und Verhalten hinsichtlich Gender und Sexualität werden als Wirken Gottes in der Geschichte bewertet. Ihnen wird quasi eine Offenbarungsqualität zugesprochen. Sie werden deshalb als maßgebend angesehen.

Die Selbstbestimmung des Menschen ist Grunddogma für sexuelles Verhalten. Der wichtigste ethische Maßstab ist Einvernehmlichkeit. Wenn die gewährleistet ist, kann auch Polyamorie positiv bewertet werden. Die Auffassung, sexuelle Intimität sei der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau vorbehalten, wird als Zumutung abgelehnt. Nach Auffassung der Autoren ist die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare christlich geboten, ihre Ablehnung nicht akzeptabel.

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Kathleen Stock rehabilitiert

Sie wurde an ihrer Universität gemobbt, weil sie an ihrem biologischen Geschlecht festhielt. Schließlich kündigte Kathleen Stock ihren Job (vgl. hier). Jetzt profitiert die britische Feministin von einer neuen Behörde, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt. Eine gute Entwicklung, über die die NZZ berichtet.

Die Bewegung der Woken setzte Kathleen Stock einst schwer zu. Weil die englische Professorin auf dem biologischen Unterschied der Geschlechter bestand und das Konzept einer von der Anatomie unabhängigen Gender-Identität zurückwies, kam es 2021 zu wütenden Protesten an der University of Sussex, an der Stock lehrte.

Die Gender-kritische Philosophieprofessorin musste jahrelang Mobbing und Schikanen wegen ihrer Ansichten ertragen. Nach einer, wie sie schrieb, „absolut schrecklichen Zeit“ für ihre Familie und sie selbst sah sich Stock schliesslich gezwungen, ihre Lehrstelle aufzugeben. Drei Jahre später aber diagnostizierte sie in der Londoner „Times“ das Schwächeln der Woke-Bewegung. Und nun gibt ihr auch die Regierung in einem bisher einzigartigen Verfahren recht, das den Gender-Wars eine neue Dynamik gibt.

Die Hochschulaufsichtsbehörde Office for Students (OfS) brummte der University of Sussex eine Geldstrafe in der Höhe von 585 000 Pfund auf – wegen Nichteinhaltung der Redefreiheit. Die OfS, 2024 gegründet, soll sich um Meinungs- und akademische Freiheit kümmern.Als OfS-Direktor fungiert Arif Ahmed, ein Wittgenstein-Experte und Philosophieprofessor an der Universität Cambridge. Ahmed sah sich gezwungen, die Untersuchung und ihre Ergebnisse im Fall Stock gegen die heftige Kritik der Vizekanzlerin der Universität Sussex, Sasha Roseneil, zu verteidigen, die diese als „ungeheuerlich und zusammengebastelt“ bezeichnete.

Mehr: www.nzz.ch.

Luther: So wird Gott alle Menschen richten

In seiner Römerbriefvorlesung von 1516/17 erläuter Luther im Zusammenhang der Erörterung von Röm 2,15 das Jüngste Gericht wie folgt (Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516, 2017, S. 62–62):

So wie sie selbst aber vor sich selbst von sich selbst gerichtet werden durch ihr Gewissen, das ihnen Zeugnis gibt, und durch „die Gedanken, die sich untereinander verklagen oder entschuldigen“, so werden sie auch durch dieselben Zeugen von Gott gerichtet werden. Denn sie richten sich nicht nach dem Urteil, das andere über sie fällen, und nach ihren Worten, ob sie lobend oder tadelnd sind, sondern nach ihren eigensten, innersten Gedanken, die so tief im Herzen sitzen, dass die Seele ihnen nicht entrinnen und ausweichen, sie auch nicht beschwichtigen kann, so wie sie’s mit Menschenurteil und Menschenwort vermag. So wird auch Gott alle Menschen nach diesen ihren innersten Gedanken richten, wird unser Innerstes enthüllen, so dass es keine Möglichkeit mehr gibt, sich nach innen in noch geheimere Schlupfwinkel zu flüchten; sondern es wird unausweichlich vor aller Augen entblößt und offen daliegen, wie wenn Gott sagen wollte: Siehe, ich richte dich nicht, sondern ich stimme nur deinem Urteil über dich selber zu und bekräftige es. Weil du anders über dich selbst nicht urteilen kannst, darum kann’s auch ich nicht tun. Also verdienst du nach dem Zeugnis deiner eigenen Gedanken und deines Gewissens entweder den Himmel oder die Hölle. So sagt der Herr: „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden und aus deinen Worten wirst du verdammt werden (Mt 12,37). Wenn dies schon von den Worten gilt, wie viel mehr von den Gedanken, die doch viel geheimere und zuverlässigere Zeugen sind.

Was verband Adorno und Gehlen?

Wie kam es in den sechziger Jahren zu einer Nähe zwischen dem Linken Theodor W. Adorno und dem Rechten Arnold Gehlen? Thomas Wagner spürt in seinem Buch Abenteuer der Moderne der merkwürdigen Nähe der beiden Denker nach. Mark Siemons hat es für die FAZ gelesen und hervorragend besprochen.  

Unter anderem schreibt er: 

Das Buch steckt voller produktiv verwirrender Anekdoten, und es ist mit zahlreichen Vor- und Rückblenden so geschickt montiert und flüssig geschrieben, dass man von der ersten bis zur letzten Seite mit nicht nachlassender Neugier auf die nächste Volte gespannt bleibt. Etwa wenn Wagner die Kalte-Kriegs-Atmosphäre innerhalb des doch eigentlich als neomarxistisch geltenden Instituts für Sozialforschung schildert, wo sich Adorno demonstrativ vom „Galimathias“ des dialektischen Materialismus in der DDR absetzte. 1958 klagte Horkheimer bei Adorno einmal über einen „studentischen Propagandisten“, der am Institut „nur den Geschäften der Herren im Osten Vorschub“ leiste – gemeint war niemand anderes als der junge Habermas. In den frühen Fünfzigerjahren war das Institut sogar an der Vorbereitung der Wiederbewaffnung Westdeutschlands beteiligt; es erarbeitete eine Studie über die Auswahl demokratisch gesinnter Offiziere für die zu gründende Bundeswehr. Das Institut nahm da nur insofern Rücksicht auf seinen linken Ruf, als es das Projekt geheim hielt.

Schon die Ostberliner Szene, mit der das Buch beginnt, weckt die höchsten Erwartungen: Der marxistische Philosoph Wolfgang Harich und Manfred Wekwerth, Chefregisseur des Berliner Ensemble, hören da im Sommer 1965 atemlos die Aufzeichnung eines der Radiogespräche Adornos mit Gehlen. Die Pointe ist, dass die beiden auf der Seite des konservativen Gehlen und nicht der des Neomarxisten Adorno sind. Stabile Institutionen seien wichtig, damit die Einzelnen nicht entgleisen, während Emanzipierung der Individuen vom Institutionellen abzulehnen sei. Harich, so erfahren wir, war da schon lange Gehlen-Fan: In den Fünfzigerjahren hatte er noch darauf gehofft, dass Gehlen sich dem Kommunismus anschließt und ihm Bücher von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Lucacs und Bloch geschickt. Er wollte ihn sogar dazu bewegen, einen Lehrstuhl in Ostberlin anzunehmen. Und Bertolt Brecht erhielt noch kurz vor seinem Tod von Harich Gehlens Buch „Urmensch und Spätkultur“, wo Brechts „Stilprinzip der Verfremdung“ lobend erwähnt wurde.

Mehr: www.faz.net.

Was ist rettender Glaube für John Piper?

John Piper betont in seinen Schriften seit vielen Jahren das Gefühlsleben des gläubigen Christen. Er steht mit dieser Pointierung in der Tradition von Jonathan Edwards. Ich war und bin dankbar für die damit verbundenen Impulse für das Glaubensleben.

In seinem Buch What Is Saving Faith? (#ad, dt. Was ist rettender Glaube?) untersucht Piper die Beziehung zwischen dem rettenden Glauben und der Liebe zu Christus genauer. Anhand von Dutzenden von Stellen aus dem Alten und Neuen Testament und unter Berücksichtigung des Zeugnisses führender reformierter Theologen vertritt er die umstrittene These, dass die Wertschätzung Christi zum Wesen des rettenden Glaubens gehört. Während der rettende Glaube im Protestantismus traditionell notitia (Wissen), assensus (Zustimmung) und fiducia (Vertrauen) einschließt, ergänzt Piper diese Anatomie also durch Affekte (oder die Liebe).

Pipers Glaubensanatomie nähert sich damit dem katholischen Verständnis an. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass er sich explizit von der katholischen Lehre von der fides caritate formata abgrenzt. Fides caritate formata ist ein lateinischer Ausdruck, der in der katholischen Theologie eine zentrale Rolle spielt. Wörtlich übersetzt bedeutet er „Glaube, der durch die Liebe geformt ist“. Im Unterschied zum ungeformten Glauben (fides informis) schließt der geformte Glaube Hoffnung und Liebe mit ein. Zu finden ist diese Glaubensanatomie etwa im Konzil von Trient, wo das Wesen der Rechtfertigung beschrieben wird (Kap. 7, DH 1528–1531):

Daher erhält der Mensch in der Rechtfertigung selbst zusammen mit der Vergebung der Sünden durch Jesus Christus, dem er eingegliedert wird, zugleich alles dies eingegossen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Denn wenn zum Glauben nicht Hoffnung und Liebe hinzutreten, eint er weder vollkommen mit Christus, noch macht er zu einem lebendigen Glied seines Leibes. 

Ist Piper die Abgrenzung von Trient überzeugend gelungen? Schon Harrison Perkins hat in seiner Rezenion von What Is Saving Faith? darauf hingewiesen, dass Piper etwas in den Glauben hineinzieht, was im reformierten Lager als Frucht des Glaubens verstanden wurde und wird. Auch die von ihm herangezogenen historischen Befunde helfen nicht weiter, denn:

Da Piper Glaubensakte als konstitutive Aspekte des Glaubens und nicht als dessen Auswirkungen oder Ergebnisse definiert, unterstützen nur sehr wenige seiner historischen Zitate seinen Standpunkt – wenn überhaupt. Sicherlich enthalten sie seine Formulierungen, aber sie erörtern in der Regel affektive Glaubensakte als Ergebnisse des Glaubens. 

Guy P. Waters ist in seiner wertschätzenden Buchbesprechung ähnlich skeptisch. Weder können Pipers exegetische Untersuchungen der einschlägigen biblischen Begründungstexte überzeugen, noch ist die notwendige Unterscheidung von Glaube und Liebe gelungen:

Piper hat völlig Recht, wenn er darauf besteht, dass Glaube und Wertschätzung Christi niemals voneinander getrennt werden dürfen. Aber es gibt einen anderen Fehler, dem WSF [What Is Saving Faith?] verfällt, nämlich die Vermischung von Glaube und Liebe. Das heißt, an einigen Stellen verwischt WSF tatsächlich die Grenzen zwischen Glaube und Liebe. Auf diese Weise versäumt es WSF, die biblische Integrität beider Gnaden zu wahren.

Diese Unschärfe hat Auswirkungen auf unser Verständnis der biblischen Lehre über die Rechtfertigung. Piper besteht zu Recht und wiederholt darauf, dass der Sünder allein auf der Grundlage der Gerechtigkeit Christi gerechtfertigt wird, die dem Sünder zugerechnet und allein durch den Glauben empfangen wird, unabhängig von den Werken des Gesetzes. Aber die Einführung der Wertschätzung Christi bzw. der Liebe zu Christus als ein Element des rettenden Glaubens, wie es WSF fordert, kompromittiert diese aufrichtig vertretene Überzeugung. Und während Piper sich bewusst und lobenswerterweise von der römischen Rechtfertigungslehre distanziert, distanzieren sich die These und die Argumentation von WSF weder ausreichend von Rom, noch stützen sie die reformatorischen Überzeugungen von WSF.

Der beste Weg ist, Glaube und Liebe weder zu trennen noch zu vermischen, sondern Glaube und Liebe zu unterscheiden. Der Gläubige muss Christus über alles schätzen, aber als notwendige Frucht und Beweis des rettenden Glaubens. Dieser Weg dient als heilsames Korrektiv für das seelsorgerliche Dilemma, das Piper zu Recht Sorgen bereitet, nämlich den weit verbreiteten Irrtum, man könne an Jesus Christus glauben, aber Jesus Christus nicht über alles lieben. Und er untermauert Pipers reformatorische Überzeugung, dass der Sünder allein durch den Glauben gerechtfertigt wird, unabhängig von den Werken. 

Kirchen haben 2024 mehr als eine Million Mitglieder verloren

Die Zahl der Kirchenaustritte ist im Jahr 2024 leicht zurückgegangen. Die Zahl der Austritte liegt jedoch weiterhin auf einem hohen Niveau. Die FAZ meldet:

Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben im Jahr 2024 zusammen mehr als eine Million Mitglieder verloren. Das teilten die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Donnerstag mit. Die Zahl der Mitglieder in der katholischen Kirche sank auf 19,77 Millionen; in der evangelischen Kirche sank die Mitgliederzahl auf 17,98 Millionen.

Die Gründe für den fortgesetzten Mitgliederschwund sind Kirchenaustritte sowie das zunehmend starke Auseinanderklaffen von Sterbefällen und Taufen. In der katholischen Kirche sank die Zahl der Kirchenaustritte von rund 403.000 im Jahr 2023 auf rund 322.000 im Jahr 2024, in der evangelischen Kirche sanken die Austritte im gleichen Zeitraum von rund 380.000 auf rund 345.000.

Die rekordhohen Austrittszahlen der vergangenen Jahre wurden damit nicht mehr erreicht, die Zahl der Austritte liegt aber weiterhin auf einem deutlich höheren Niveau als vor den Missbrauchsskandalen. Erstmals seit mehreren Jahren verzeichnete die evangelische Kirche zudem wieder höhere Austrittszahlen als die katholische Kirche. Anfang des vergangenen Jahres wurde allerdings auch die ForuM-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche veröffentlicht, die womöglich einen gewissen Effekt auf die Mitgliederentwicklung in der EKD hatte. Die ForuM-Studie zieht aber anders als die MHG-Studie für die katholischen Kirche aus dem Jahr 2018 keinen starken Anstieg der Austrittszahlen nach sich.

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